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Warum studieren vor allem Akademiker:innenkinder Medizin?

Anna Raith
Anna Raith
7. Juli 2022

Der steinige Weg ins (Medizin)Studium

Wie jedes Jahr erhielten in diesen Tagen wieder viele Schüler:innen ihre Abschlusszeugnisse. Mit der Matura kommt oft die Entscheidung, ob ein Studium in Frage kommt und was man studieren. In Österreich herrscht grundsätzlich ein offener Hochschulzugang. Jedoch nimmt die Anzahl an Studiengängen mit einer Aufnahmeprüfung oder Auswahlverfahren stetig zu. Das betrifft seit 2006 jene Studiengänge, in denen in Deutschland ein bundesweiter Numerus Clausus gilt: Medizin, Pharmazie, Psychologie, Betriebswirtschaft und viele mehr. Seit 2013 können zusätzlich Zugangsbeschränkungen für generell stark nachgefragte Studien eingeführt werden. Seit 2019 besteht ebenso die Möglichkeit für an einzelnen Universitäten besonders stark nachgefragten Bachelor- und Diplomstudien Zugangsbarrieren zu schaffen. Dies führt zu einem stetigen Anstieg an zugangsgeregelten Studien und einer Einschränkung des freien Hochschulzugangs.

Ein besonderer Fall ist das Medizinstudium. Wer Medizin studieren möchte, muss durch das gemeinsame Aufnahmeverfahren der Medizinischen Universitäten Wien, Innsbruck, Graz und der Medizinischen Fakultät der JKU Linz kommen: den MedAT Test. Über diesen Test, der dieses Jahr am 8. Juli stattfinden wird, werden heuer die insgesamt 1.706 Plätze im Bereich Humanmedizin bzw. 144 Plätze im Bereich Zahnmedizin vergeben. Die Wahrscheinlichkeit einen Platz zu erreichen, ist jedoch gering. Dieses Jahr nehmen knapp 16.000 Personen am Test teil, 1.850 Plätze sind zu vergeben. Das bedeutet, dass nur jeder 9-te Studieninteressierte einen Platz erhält. Die Medizinstudien sind somit die selektivsten Studiengänge, die an öffentlichen Universitäten angeboten werden.

Der Spezialfall Medizinstudium

Bei genauerer Ansicht der Testergebnisse sticht besonders hervor: das Medizinstudium ist und bleibt eine Domäne von Akademiker:innen. Die soziale Durchmischung ist in diesem Fach besonders schwach. Während durchschnittlich 34% der Eltern von Studienanfänger:innen ein Studium abgeschlossen haben, sind es bei den Studienanfänger:innen der Human- und Zahnmedizin mehr als doppelt so viel. Über 70% der Medizinstudierenden kommt aus einem Akademiker:innenhaushalt. Eine Analyse des IHS zeigt auch: während an der Medizinischen Universität Wien unter den Angemeldeten und Test Teilnehmer:innen noch 30% Eltern mit niedriger Schulbildung haben, sinkt dieser Wert auf 22% unter jenen, die einen Studienplatz erhalten.

Oft wird die Medizin-Profession auch innerhalb der Familie weitergegeben. Eine Studie aus 2017 hat in diesem Zusammenhang aufgezeigt, dass „zwischen den Fächern der Psychologie, der Medizin und der Psychotherapie nicht nur ein inhaltliches, sondern auch ein familiäres Naheverhältnis besteht. Studiert man Medizin, ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzt in der näheren Verwandtschaft zu haben, 70-mal höher als im Rest der Bevölkerung.“ Jene, die einen Arzt oder eine Ärztin in der Familie haben, gehen mit einem Informationsvorsprung in die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung.

Es zeigt sich: die Schieflage bei der sozialen Durchmischung hat verschiedene Gründe. Die Vorbereitung auf die MedAT Prüfung (oft verbunden mit kostspieligen Vorbereitungskursen, die sich nicht alle Studieninteressierte leisten können), das Image eines besonders schweren Studiums und die Länge des Studiums sowie die schwierige Vereinbarkeit von Studium und Beruf schrecken viele junge Menschen aus sozial benachteiligten Haushalten ab, überhaupt zur Prüfung anzutreten.  Zudem muss für die Aufnahmeprüfung eine Kostenbeteiligung von 110 EUR pro Person bezahlt werden. Hinzu kommt auch, dass Studierende aus Haushalten mit geringeren Einkommen nicht auf Alternativen wie ein Medizinstudium an einer Privatuniversität zurückgreifen können.

Schritte hin zu einer besseren sozialen Durchmischung

Um diese Ungleichheit zu beseitigen, könnten von Seiten der Politik und der Universitäten verschiedene Schritte gesetzt werden. Generell bedarf es eines Ausbaus des Stipendiensystems und regelmäßiger Valorisierung der Stipendien, das Studierenden aus Familien mit geringem Einkommen ein erfolgreiches Studieren erlaubt. Universitäten müssten ihre Lehrveranstaltungen stärker auf die Bedarfe von berufstätigen Studierenden ausrichten und Maßnahmen zur Unterstützung von first generation Studierenden umsetzen.

Im Spezialfall Medizin können die negativen Nebenwirkungen der Zugangsbeschränkungen durch ein ausreichendes Studienplatzangebot und zusätzliche Maßnahmen zur sozialen Durchmischung ausgeglichen werden. Die Aufnahmeverfahren an öffentlichen Hochschulen sollten kostenfrei sein. Anmeldegebühren könnten als Kaution eingehoben werden, die bei Testantritt zurück erstattet werden. Zudem braucht es ein qualitativ hochwertiges und kostenfreies Angebot zur Vorbereitung auf den Aufnahmetest, das potentielle Studierende nicht abschreckt.

Anna Raith
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