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Soziale Durchmischung an Hochschulen fördern

Olivia Kaiser
Olivia Kaiser
11. November 2020

Für die neue Studierenden-Sozialerhebung wurden im Sommersemester 2019 Studierende an allen Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Privatuniversitäten in Österreich mittels eines Online-Fragebogens befragt. Mehr als 48.000 Studierende beteiligten sich daran.

Die letzte Studierenden-Sozialerhebung (SOLA) stammt aus dem Jahr 2015. Die vorliegende Erhebung ist also die erste Befragung seit der von der Arbeiterkammer wiederholt eingeforderten Reform des Studienförderungsgesetzes, welche nach etwa zehn Jahren erstmals eine deutliche Anhebung der Stipendien gebracht hat.

AkademikerInnenkinder an Hochschulen überrepräsentiert

Zunächst das Positive: Laut SOLA 2019 sind zwei Drittel der StudienanfängerInnen sogenannte „first generation students“, d. h. die Eltern haben als höchsten Bildungsabschluss eine Matura. Im europäischen Vergleich ist der Anteil von Studierenden mit „Nicht-AkademikerInnen-Eltern“ sogar verhältnismäßig hoch.

Allerdings ist dies kein Beleg für einen sozial ausgewogenen Hochschulzugang. Denn relevant ist der innerösterreichische Vergleich mit der Gesamtbevölkerung, und hier zeigt sich, dass „AkademikerInnenkinder“ mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit ein Studium beginnen als Kinder von Eltern ohne Studium. Erstere haben in der Regel bereits während ihrer Schullaufbahn von der (finanziellen) Unterstützung der Eltern, deren Erfahrungen und Netzwerken profitiert – Ressourcen, die Letzteren nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen.

Generell ist die Wahrscheinlichkeit, ein Universitäts- oder Fachhochschulstudium aufzunehmen, für Personen aus „bildungsnahen“ Schichten 2,5-mal so hoch wie für jene aus Familien, bei denen die Eltern keine Matura oder akademische Bildung haben.

Im Vergleich zu 2015 wurde die Situation nicht besser, im Gegenteil: Der Indikator „Rekrutierungsquote/Wahrscheinlichkeitsfaktor zur Studienaufnahme“ hat sich an öffentlichen Universitäten, die mehr als drei Viertel der Studierenden besuchen, sogar verschlechtert.

Bessere soziale Durchmischung an Fachhochschulen

Fachhochschulen sind im Vergleich mit Universitäten aufgrund einer Reihe begünstigender Faktoren deutlich weniger sozial selektiv: Sie sind stärker berufspraktisch ausgerichtet, bieten ein breites Spektrum an berufsbegleitenden Studien an, weisen eine überschaubare Studiendauer sowie eine bessere regionale Zugänglichkeit auf. Fachhochschulen können überdies auch mit einer einschlägigen beruflichen Qualifikation (z.B. Lehrabschluss + Zusatzprüfungen) begonnen werden. Im Hinblick auf die Diversität der Zugangswege sind sie – vor allem bei den berufsbegleitenden Studiengängen – besser durchmischt als die traditionellen Universitäten. Diese Faktoren spiegeln sich auch in den Zahlen der SOLA 2019 wider.

Generell überwiegt auch bei den Studierenden selbst der Weg über die klassische Matura. Der Anteil der nicht-traditionellen Studierenden, die über einen alternativen Weg wie Berufsreifeprüfung oder Studienberechtigungsprüfung an die Hochschule kommen und zumeist vorher berufstätig sind, stagniert seit vielen Jahren bei ca. 10 Prozent – auch hier mit deutlichen Unterschieden zwischen Fachhochschulen und Universitäten.

Stipendienreform wirkt

Eindeutig positiv hat sich die von der AK eingeforderte Novelle der Studienförderung 2017 ausgewirkt, bei der die Beihilfensätze und die Einkommensgrenzen endlich deutlich angehoben wurden. Gegenüber 2015 ist die durchschnittliche Höhe der konventionellen Studienbeihilfe um 22 Prozent gestiegen. Der Anteil der BeihilfenbezieherInnen stagniert allerdings bei etwa 20 Prozent.

Studieren und Arbeiten als Normalfall

Die Erwerbsquote der Studierenden ist weiter gestiegen: von 61 auf 65 Prozent. Hauptmotiv ist die finanzielle Notwendigkeit. Auch das durchschnittliche Erwerbsausmaß ist leicht gestiegen (20,5 Stunden/Woche). Die Erwerbstätigkeit hängt stark mit dem Alter der Studierenden zusammen.

Fast die Hälfte der erwerbstätigen Studierenden klagt über Vereinbarkeitsprobleme.

Die Vollzeitstudierenden haben nur mehr einen Anteil von rund 35 Prozent. Sie kommen meistens aus AkademikerInnenhaushalten, sind vergleichsweise jung und investieren mehr Zeit in ihr Studium.

Es ist zu befürchten, dass sich durch die Corona-Krise die soziale Schieflage tendenziell weiter verschlechtert hat, da die Haupteinnahmequelle von sozial schwächeren Studierenden, nämlich die Erwerbsarbeit, vielfach reduziert wurde bzw. ganz weggefallen ist. Eine Studierenden-Befragung des Wissenschaftsministeriums im April 2020 zu den CoV19-Maßnahmen  hat das ebenfalls gezeigt.

Die begonnenen Maßnahmen im Hinblick auf mehr soziale Ausgewogenheit fortzuführen und zu verstärken, ist daher umso dringlicher. Hier sind sowohl das Bildungsministerium als auch die Hochschulen gefordert: Die Palette reicht vom kontinuierlichen Ausbau des Stipendiensystems mit regelmäßiger Valorisierung über gezielte Fördermaßnahmen zur Steigerung des Anteils an Studierenden mit nicht-traditionellen Hochschulzugängen, ein verbessertes Studienangebot für berufstätige Studierende (insb. auch an Universitäten) bis hin zur Sensibilisierung des Lehrpersonals an Hochschulen für Problemlagen von „first generation students“ etc. Aktuell muss insbesondere beim viel propagierten Distance Learning viel genauer darauf geachtet werden, dass diese Lehr- und Lernformen nicht nur Personen aus sozial privilegierten Familien im Blick haben und somit weitere Talente verloren gehen. Zusätzlich braucht es selbstverständlich auch verstärkt Maßnahmen zum Abbau der sozialen Selektion im vorgelagerten Schulsystem.

Als Unterstützung für „first generation students“, also jene Studierende, die als Erste in der Familie studieren, hat die Arbeiterkammer einen Ratgeber zusammengestellt. Insbesondere ist es wichtig, sich nicht abschrecken zu lassen und sein Studium gut zu planen – weitere Tipps finden sich hier.

Olivia Kaiser
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